Lisos (Lissos) – Die vergessene antike Stadt an der Südküste Kretas
An der Südküste Kretas, eingebettet in die stille Bucht von Agios Kirykos, liegt die antike Stadt Lisos – oder Lissos, wie sie in alten Quellen genannt wird. Einst ein bedeutendes Zentrum, heute eine stille Ruinenlandschaft, die nur über das Meer oder auf Wanderwegen des E4-Fernwanderwegs erreichbar ist.
Lage von Lisos – verborgen zwischen Paleochora und Sougia
Die Anreise ist Teil der Magie: Von Sougia erreicht man Lisos in etwa 90 Minuten zu Fuß, von Paleochora in gut drei Stunden. Alternativ legen im Sommer Boote von beiden Orten in die kleine Bucht ab.
Geschichte von Lissos – Vom Hafen zur Kultstätte
Die Ursprünge von Lisos reichen bis in die minoische Zeit zurück. Später wurde es der Hafen der Stadt Hyrtakina und prägte im 4. Jahrhundert v. Chr. eigene Münzen – mit Symbolen wie Delfinen, der Göttin Diktynna oder den Sternen der Dioskuren.
Lisos war Teil des Städtebundes der „Oreioi“, der Bergbewohner, und schloss Allianzen mit Mächten wie Knossos oder Gortyn. Unter den Römern entwickelte sich die Stadt zu einem beliebten Heilbad, in der byzantinischen Epoche sogar zum Bischofssitz. Erst mit der arabischen Eroberung Kretas im 9. Jahrhundert verlor Lisos endgültig seine Bedeutung.
Das Asklepieion – Heiligtum und Quelle
Im nördlichen Taleinschnitt erheben sich die Reste des Asklepieions, eines Tempels zu Ehren des Heilgottes Asklepios. Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. pilgerten Menschen hierher, um Heilung zu suchen. Unter dem Tempel sprudelt eine Quelle, die noch heute Wasser führt – einst heilig, heute geheimnisvoll.
Im Inneren des Heiligtums fand man Statuen des Asklepios und der Hygieia, die heute im Archäologischen Museum von Chania zu bewundern sind.
Kirche Agios Kirykos – Fresken und byzantinische Geschichte
Nur wenige Schritte entfernt steht die Kirche Agios Kirykos, im 14. Jahrhundert errichtet. Ihre Wände tragen gut erhaltene Fresken, während in ihrem Mauerwerk Fragmente antiker Bauten verbaut wurden.
Das antike Theater von Lisos
Etwa 45 Meter südlich erhebt sich das kleine antike Theater, vermutlich ein Odeon oder Bouleuterion. Mit seinen 14 Sitzreihen und dem Durchmesser von nur 23 Metern wirkt es intim – fast wie eine geheime Bühne, die von einem Erdbeben im Jahr 365 schwer beschädigt wurde.
Weitere Sehenswürdigkeiten in Lisos
Der Turm: ein griechisch-römisches Bauwerk westlich des Theaters.
Römische Thermen: Reste von Badeanlagen nahe der Tempelanlagen.
Panagia-Kirche: errichtet auf frühbyzantinischen Fundamenten, mit ungewöhnlicher rechteckiger Apsis.
Zollhaus: eine zweistöckige Ruine am Hang gegenüber.
Antiker Hafen: Überreste eines Piers, heute vom Erdbeben um mehrere Meter aus dem Meer gehoben.
Friedhof von Lisos – Stadt der Toten
Am Westhang liegt der beeindruckende Friedhof von Lissos mit über 100 Grabhäusern. Tonnengewölbe, zweistöckige Anlagen und Sitzbänke deuten auf den Wohlstand der Stadt hin.
Erforschung von Lisos – Ausgrabungen zwischen Geschichte und Gegenwart
Die Faszination von Lisos weckte schon im 19. Jahrhundert das Interesse europäischer Forscher wie Robert Pashley und John Linton Myres. Zwischen 1957 und 1961 legte der Archäologe Nikolaos Platon das Asklepieion frei. Noch heute wird geforscht: In den Jahren 2022 und 2023 wurden Teile des Theaters neu ausgegraben.
Fazit – Lisos, Zeitreise am E4-Wanderweg
Wer nach Lisos auf Kreta wandert, betritt nicht nur eine archäologische Stätte, sondern einen Ort voller Geschichten. Zwischen Ruinen, byzantinischen Kirchen, antiken Gräbern und dem glitzernden Meer verschmilzt Natur, Mythos und Geschichte zu einem Erlebnis, das unvergesslich bleibt.
Lisos ist ein Reiseziel für Entdecker – abseits der Massen, eingebettet in die wilde Schönheit der Südküste Kretas.
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